Kriegsnachwehen - Abgestürzter Bomber sorgt für Aufregung
Von Sven Astheimer
Wieder mal der Bomber. Seit fast sieben Jahren spielt er in Horst Benders Leben regelmäßig eine Rolle. So lange schon spielt im südhessischen Ried eine verworrene Geschichte, in der es um Bomben, tote Piloten und wilde Schatzsucher geht. Zuletzt kümmerte sich die „Bild“-Zeitung um das britische Flugzeug vom Typ Avro Lancaster, das im zweiten Weltkrieg über dem südhessischen Ried abgeschossen wurde. Bender fühlt sich diffamiert und hält den Artikel hoch. Als Landwirt wird er dort beschrieben, der 7500 Euro dafür haben will, dass auf seinem Acker das abgestürzte Wrack aus dem Zweiten Weltkrieg geborgen werden kann.
Mittlerweile verlange sogar die britische Botschaft die Herausgabe. Bauer ist der 55 Jahre alte Mann in Krawatte und Anzug tatsächlich nicht, er arbeitet im Vertrieb eines großen Elektrokonzerns. Auch die 7500 Euro habe er nie genannt, beteuert Bender. Von ihm aus könne die Maschine geborgen werden, er habe nur immer verlangt, dass jemand für mögliche Schäden haftet, die bei der Aktion entstehen. Schließlich hat er das Land verpachtet. Und genau daran ist die Sache bislang gescheitert.
Ihren Ursprung hat die Geschichte in einer Nacht vor fast 63 Jahren. Am Abend des 25. August startete der Lancaster-Bomber mit der Kennung PD216 EM-J von Mittelengland aus in Richtung Deutschland. Die britische Strategie war es damals, mit Bombardements die industriellen Ressourcen im nationalsozialistischen Deutschland zu vernichten und so den Feind entscheidend zu schwächen. In dieser Nacht sollten etwa 600 Flugzeuge die Opel-Werke in Rüsselsheim und die nicht weit entfernte Chemiestadt Darmstadt in Schutt und Asche legen.
Ein Soldatengrab neben dem Acker
Auch das Flugzeug mit der Kennung PD216 EM-J sollte über Darmstadt seine tödliche Fracht abwerfen, die aus einer 4000-Pfund-Bombe sowie zahlreichen Streu- und Brandbomben bestand. Kurz vor dem Ziel wurde der Bomber jedoch von deutschen Nachtjägern überrascht und abgeschossen. Die Lancaster stürzte kurz vor dem Groß-Gerauer Stadtteil Wallerstädten ab und grub sich ins Erdreich. Von den sieben Besatzungsmitgliedern überlebte keines.
Alte Wallerstädter können sich noch an das Ereignis erinnern, so genau darüber berichten will aber kaum jemand. Es war halt Krieg, heißt es dann meistens. Die Gebeine der vier Besatzungsmitglieder, die anhand ihrer Kennungsmarken identifiziert werden konnten, begrub man neben dem Acker. Nach Kriegsende wurden die Toten von den Alliierten exhumiert und in der Kriegsgräberstätte der Commonwealthstaaten im bayerischen Dürnbach beigesetzt.
Um die drei nicht identifizierten Soldaten und das Flugzeug blieb es lange still – bis vor einigen Jahren ein Sammler und Schatzsucher aus der Gegend mit einem Metalldetektor über den Acker schritt und den in Vergessenheit geratenen Bomber lokalisierte. Angeblich fand er neben Metallteilen auch Knochensplitter. Der Sammler machte sich auf die Suche nach den Eigentümern des Feldes und kam zu Horst Benders Frau und deren Schwester. „Unverschämt“ habe sich der Hobbyforscher aufgeführt und gefordert, auf dem Acker graben zu können, berichtet Bender, noch heute aufgeregt. Deshalb habe man damals nicht reagiert.
Schatzsucher gut organisiert und vernetzt
Doch die Gemeinschaft solcher „Schatzsucher“ ist in Deutschland gut organisiert und vernetzt. Im Internet gibt es spezielle Plattformen, auf denen man sich über die neuesten Funde austauscht. So schaltete sich im Jahr 2003 auch Danny Keay in die Suche nach dem Wallerstädter Bomber ein. Sein Vater war Pilot der Royal Air Force gewesen, er selbst wuchs im Westdeutschland auf und grub schon als Junge im Wald eine Granate aus. Auf Wunsch der Mutter habe er sich dann auf Flugzeuge konzentriert. „Wir sind alle Flugzeugfanatiker“, sagt Keay über die Schatzsucher, aber es gebe einige Kollegen, die mit seltsamen Methoden arbeiteten.
Keay, der als Sergeant auf einer Nato-Basis in Westdeutschland stationiert ist, legt Wert darauf, dass es in erster Linie „um die Ehre der Toten und deren Angehöriger“ geht. Von Nacht-und-Nebel-Aktionen hält er nichts. „Ich will nicht, dass jeder verrückte Buddeler vorbeikommt und Party macht.“ Ein bis zwei Bergungen im Jahr führt er mit seiner Gruppe aus, unentgeltlich. Keay ist so eine Art Organisator und Vermittler zwischen den üblichen Beteiligten: Gemeinde, Polizei, Technisches Hilfeswerk und Kampfmittelräumdienst.
Keay hatte auch Kontakt geknüpft zu Terence Gower, dessen Vater als Bordingenieur auf der Lancaster war und als vermisst gilt. Gowers großer Wunsch war es, die Bergung der sterblichen Überreste seines Vaters zu erleben, den er als Zweijähriger zuletzt gesehen hat. Außerdem nahm der Kampfmittelräumdienst das Feld unter die Lupe. Die Datenanalyse ergab, dass sich in drei bis vier Metern Tiefe ein metallischer Körper befindet, und auf der Thermoaufnahme sind Umrisse eines Flugzeuges zu erkennen.
Bergungstermin stand schon fest
Außerdem seien „eventuell Munitionsreste“ vorhanden, sagt Sprengmeister Dieter Oppermann. Für eine Bergung müsse man schon einen Umkreis von 1500 Metern absperren, sagt der Fachmann. Weil es sich aber nur um einen Verdacht handelte, langte es nur zu einem Hinweis an Bender und die örtlichen Behörden. Immerhin konnte man sich im Herbst 2005 sogar schon auf einen Termin für die Bergung einigen. Wäre da nicht Benders Forderung nach Schadenshaftung gewesen. Der Groß-Gerauer Bürgermeister wollte eine solche Zusage nicht geben, und Bender blieb bei seinem Nein.
Danny Keay kann diese Haltung verstehen, obwohl sich die Kosten seiner Erfahrung nach in Grenzen halten würden. „Zwei Lastwagen mit Muttererde zum Auffüllen“, schätzt er, dann könne der Pächter das Land wieder bewirtschaften. Keay und Gower haben mittlerweile auch den neuen Bürgermeister Groß-Geraus um Mithilfe gebeten. Auch Bender wünscht sich ein Ende der Geschichte: „Mir wäre Recht, wenn der Flieger rausgeholt wird und endlich Ruhe ist.“ Und der 65 Jahre alte Terence Gower sitzt in seinem Zuhause unweit von London und wartet auf den Termin, an dem die Bergung endlich stattfinden kann. Eines verspricht der Brite: „An dem Tag, an dem es los geht, bin ich da und stehe auf dem Feld.