Moin!
Dazu gibt es auch andere Meinungen. Eric Brown z.B. hält die automatisch ausfahrende Vorflügel für einen
der Hauptschwachpunkte der Bf 109. Da die Vorflügel nicht gekoppelt sind, fahren sie ungleichmäßig aus
und erzeugen so unkontrollierbare Rollmomente.
Ja, man liest auch immer mal etwas schlechtes über die Vorflügel. Ich halte das aber alles nicht für sehr tragfähig, oder zumindest nicht für schwerwiegend.
Eric Brown schreibt: "Die hohen Höhenruderkräfte waren vielleicht eine Notwendigkeit angesichts der großen Flächenbelastung der Bf 109G, da eine übertriebene Anwendung der Höhenrudersteuerung in Flugmanövern leicht zum Ausfahren der Vorflügel führte, was wiederrum Querruderzucken herbeiführte und das Anvisieren jedes angegriffenen Flugzeuges durchkreuzte."
(Aus "Wings of the Luftwaffe", meine Übersetzung)
Das ist also nur ein vorübergehender Moment im Flug mit schnell veränderlichem Auftriebsbeiwert ... eine Flugsituation, in der die Trefferchancen ohnehin ausgesprochen schlecht sind.
Eric Brown erwähnt ergänzend, daß bei Scheinangriffen, die die RAF mit der Beutemaschine auf eine Lancaster geflogen hat, die Vorflügel in der Wirbelschleppe hinter dem Bomber ein- und ausfuhren, weil wiederum von Querruderzucken begleitet war, so daß genaues Zielen nicht möglich war. Das klingt, als seien die Vorflügel von Nachteil, aber natürlich fliegt in der Wirbelschleppe hinter einem Bomber auch jedes andere Flugzeug nicht schnurgeradeaus. Um Browns Kommentar ein bißchen ins Verhältnis zu setzen: Ich meine, es war Douglas Bader, der sich während der Luftschlacht um England aus dem Steigflug hinter einer He 111 eingereiht hat, in die Wirbelschleppe geraten ist und dann erstmal ein paar tausend Fuß durch Trudeln verloren hat. Im Luftwaffe-Lehrbuch "Des Jägers Schießfibel" findet man dazu den Reim "Entflieh dem Mief! - und fliege lieber/ein wenig drunter oder drüber". (
Horrido - Des Jaegers Schiessfibel : Oberkommando der Luftwaffe : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive - Seite 17 ... schön illustriert mit Comicflugzeug, das sich mit grob ausgeschlagenen Steuerflächen in der Wirbelschleppe zu halten versucht :-)
Das "unkontrollierte Rollen" bei asymmetrisch ausgefahrenen Vorflügeln stellt man sich auch leicht dramatisch vor. Wenn man aber Luft-Luft-Aufnahmen zum Beispiel der "Schwarzen 6" ansieht, dann liegt die Maschine manchmal schön schräg im Blickfeld des Fotografen, Seitenruder deutlich ausgeschlagen, ein Vorflügel draußen, einer drinnen. Völlig harmlos - wenn unkontrolliertes Rollen drohen würde, wäre ja die Kamera-Maschine in höchster Gefahr, von der außer Kontrolle geratenen Messerschmitt gerammt zu werden. Das riskiert unter Profis natürlich keiner.
Auch bei Flugvorführungen kann man beobachten, daß die Messerschmitt in manchen Momenten nur einen Vorflügel draußen hat, während sie gleichmäßig und elegant ihre Manöver fliegt. Das einseitige Ausfahren wird ja durch einen asymmetrischen Luftstrom bewirkt und erzeugt eine ausgleichende Asymmetrie des Flugwerks.
Im französischen Vergleichstest einer Me 109E gegen eine Dewoitine 520 hat sich herausgestellt, daß beide Maschinen sehr ähnliche Kurvenflugleistungen hatten, die Me 109 aber wegen der Vorflügel im Grenzbereich sehr gut beherrschbar war und durch Querruderschütteln dem Piloten das drohende Abkippen signalierte, während der Dewoitine-Pilot beim Überziehen einfach ohne Warnung aus der Kurve fiel (was bei den Tests zweimal passierte). Auch in britischen Scheinluftkämpfen mit einer erbeuteten Me 109 gegen (teils kampferprobte) Einsatzpiloten in Spitfires - die wirklich deutlich enger kurven können - stellte sich heraus, daß die englischen Piloten in der Me 109 teils ihre Kameraden in den Spitfires auskurven konnten, weil die Spitfire-Piloten sich aus Angst vor dem Abkippen aus der Kurve nicht weit genug in den Grenzbereich vorwagten, während man aus der Me 109 problemlos die beste Kurvenleistung herausholen konnte.
Wie jede Technologie haben auch Vorflügel Vor- und Nachteile. Nach dem 2. Weltkrieg waren sie im Jagdflugzeugbau eigentlich ziemlich beliebt, aber es gab mehrere Muster, bei dem man sowohl Versionen mit als auch welche ohne hergestellt hat (z. B. F-86, A-4, F-4, glaube ich). Es lohnt sich also auf jeden Fall, sich darüber Gedanken zu machen :-)
Der geschränkte Tragflügel hat ja auch einen wichtigen Vorteil, nämlich die ununterbrochen glatte Beplankung im Flügelnasenbereich, die im Schnellflug natürlich strömungsgünstig ist ...
Tschüs!
Henning (HoHun)