Moin!
Da gibt's glaube ich nicht so eine klare Antwort. Sprenggranaten waren auch noch auf große Entfernungen wirksam, auch wenn die Geschosse schon erheblich an Geschwindigkeit verloren hatten. Das Problem war aber die Streuung, durch die die Anzahl von Treffern pro Flächeneinheit auf große Entfernungen zwangsläufig immer geringer wurde. Die MK 108 hatte gegenüber der MK 103 zwar eine deutlich niedrigere Mündungsgeschwindigkeit und dementsprechend eine stärker gekrümmte Flugbahn, aber dafür auch eine geringere Waffenstreuung. Die Streuung wird zum großen Teil durch Schwingungen der Waffe und ihrer Lagerung erzeugt, und die MK 108 verschießt die gleichen Geschosse wie die MK 103 bei niedrigerer Anfangsgeschwindigkeit - also mit einer deutlich kleineren Treibladung, die entsprechend weniger Energie in die Waffe einleitet. Außer verfügt die MK 108 über einen unverriegelten Massenverschluß, der ohne Lastspitzen arbeitet, was meinem Eindruck nach ebenfalls zu geringer Streuung führt.
Bei der Fw 190A wurde eine Bewaffnung mit zwei MK 103 unter den Flügeln ausprobiert, aber die Schießergebnisse waren wegen der größeren Streuung der MK 103 nicht befriedigend, so daß die Bewaffnungsvariante mit der kleineren, leichteren und schneller schießenden MK 108 tatsächlich besser war. Ich meine, daß ich es so in Rodeickes Buch über die Fw 190 gelesen habe ... das hatte ich mir vor Jahren nur mal geliehen, ich kann das also gerade nicht nachprüfen.
Die Krümmung der Flugbahn kann man durch entsprechendes Zielen ausgleichen. Das Kreiselvisier EZ42, das die Luftwaffe gegen Ende des Krieges in kleiner Stückzahl eingesetzt hat, konnte durch Einstellen ballistischer Parameter in der Steuereinheit die entsprechende Überhöhung für verschiedene Waffen berücksichtigen. Wie das britische Gyro Gun Sight und dessen amerikanische Version K-14 verfügte es außerdem über einen Entfernungsmeß-Mechanismus, der darauf beruhte, daß der Pilot die Zielmarkierung an die sichtbare Zielgröße anpaßte (nachdem er die Spannweite des Zielflugzeuges eingestellt hatte). Bei sehr großen Entfernungen war diese Technik aber nicht genau genug für zuverlässiges Zielen, so daß ein Entfernungsmess-Radar erforderlich gewesen wäre, an dessen Entwicklung gegen Ende des zweiten Weltkrieges auch tatsächlich gearbeitet wurde.
Ich habe ein Dokument gefunden, das eine Beurteilung der Möglichkeit zur Steigerung der Schußweiten auf 2000 m vornimmt:
"[...] Zerstöraussichten beim Schuß auf 2000 m Entfernung [sind] nur mit großem Aufwand erreichbar. Sie erfordern elektrische E-Messung, Jägersteuerung und Zielfernrohr in Verbindung mit EZ 42 und verringerter Abkommenstreuung und bereiten damit Schwierigkeiten, die in absehbarer Zeit nicht zu beheben sind."
(Jägerstab K.T.B. 16.3./4.4.1945, S. 327 des Digitalisats unter
https://invenio.bundesarchiv.de/invenio/direktlink/ff268edd-8129-450a-b0e4-6a35d48fc287/ )
Im folgenden Absatz geht es dann um eine praktisch leichter zu verwirklichende Steigerung der Kampfentfernung auf 1000 - 1200 m durch Einbau vorwärtsfeuernder Waffen mit Überhöhung in verbindung mit einem verstellbaren normalen Reflexvisier.
Daraus kann man im Umkehrschluß ableiten, daß die Kampfentfernung der deutschen Jägerbewaffnung im Normalfall eben unter diesen 1000 - 1200 m gelegen haben muß :-)
Im BLR Report No. 727, "Analysis of World War II Air Combat Reports" von Herbert K. Weiss, der erbeutete Luftwaffen-Schießfilme auswertete, ist zwar erwähnt, daß die Luftwaffe einige Bomber-Abschüsse auf sehr große Entfernungen erreicht hat, aber der Normalfall war das nicht (und wahrscheinlich dachten die Piloten sogar, sie wären wesentlich näher dran! ;-)
Tschüs!
Henning (HoHun)